Brief von Bürgermeister und Stadtkämmerer a.D. Becker an seinen Amtsvorgänger und Weggefährten Ernst Gerhardt

Veröffentlicht: Neuigkeiten Ort: Frankfurt

Sehr geehrter Herr Dr. Gerhardt, wenn mich jemand nach einem aufrechten, ehrlichen und überzeugten Kommunalpolitiker fragen würde, dann fiele mir

Sehr geehrter Herr Dr. Gerhardt,

wenn mich jemand nach einem aufrechten, ehrlichen und überzeugten Kommunalpolitiker fragen würde, dann fiele mir kaum jemand so selbstverständlich ein wie Sie.

Und wenn ich antworten müsste, welcher Persönlichkeit unsere schöne und stolze Heimatstadt Frankfurt am Main aus den zurückliegenden Jahrzehnten heraus am meisten zu verdanken hat, wäre es auch wieder Ihr Name, der mir in den Sinn käme. Und wenn zuletzt die Frage aufkäme, wer denn in der Frankfurter Kommunalpolitik mein Vorbild wäre, müsste ich zum dritten Mal auf Sie verweisen.

Als der frühere Stadtrat Anton Bretz mir vor rund 30 Jahren den Weg zu einem Kreis überzeugter Christdemokraten zeigte, führte dort ein Mann das Wort, der kurz zuvor noch die Geschicke der Stadt ganz maßgeblich in seinen Händen gehalten und zuletzt als Stadtkämmerer die positive Entwicklung Frankfurts ganz maßgeblich geprägt hatte. Es waren Sie, den ich zuvor zwar aus den Medien bereits zu kennen glaubte, der mich jedoch durch seine besonnene, kluge und vorausblickende Art schnell in seinen Bann zog, auch wenn es erst jetzt nach 30 Jahren das erste Mal ist, dass ich dies so deutlich und klar formuliere.

In den Begegnungen im Hotel Kolping oder beim „Arbeitskreis Wirtschaft“ im Steinernen Haus erlebte ich einen fröhlichen und humorvollen Menschen, der Disziplin und Lebensfreude ganz natürlich miteinander verband und den ein gutes Glas Wein zu später Stunde nicht vom frühen Aufnehmen der Arbeit am nächsten Morgen abhielt. Im Dienst für unsere Stadt und unser Land haben Sie sich ohnehin immer begriffen, ob nun mit oder ohne formelles Amt.

Ihre Schilderungen persönlicher Erfahrungen, von der Zeit des Nationalsozialismus, von Ihrem Dienst in der „Rechenstube“ bei der Wehrmacht, Ihrem Weg durch die Trümmer der zerstörten Frankfurter Altstadt, bis hin zu Ihrem Weg in die Kommunalpolitik und den vielen Jahren in der Verantwortung für die Menschen unserer Stadt offenbaren bis heute einen zeitgeschichtlichen Schatz und einen Beweis ganz besonderer Lebenserfahrung zugleich.

Ihre persönliche Verortung in der katholischen Soziallehre und Ihre Erfahrungen in jenen schrecklichen Jahren des dunkelsten Kapitels unserer Geschichte haben Sie zu einem überzeugten Demokraten gemacht, der über die Jahrzehnte hinweg diese Überzeugung in so viele andere Herzen hineingepflanzt hat, dass sich viele Menschen glücklich schätzen können, Ihnen in ihrem Leben begegnet sein zu dürfen und Sie als Wegbegleiter und Wegbereiter schätzen gelernt haben.

Ihr Rat ist bis heute gefragt und Ihre Autorität erwächst keinen Titeln oder Ämtern, sondern besitzt den natürlichen Charakter einer Persönlichkeit, die mit ihren 100 Jahren im Geiste jünger und frischer ist, als so mancher Zeitgenosse mit hälftigem Lebensalter. Nur von „Altersweisheit“ dabei zu sprechen, würde Ihnen nicht gerecht. Denn nicht alleine gesammelte Erfahrungen haben über 100 Jahre hinweg eine besondere Persönlichkeit aus Ihnen geformt, Ihre eigene innere Haltung, Ihr scharfer Blick, Verantwortung, Klugheit, Menschlichkeit, Glaube, Gespür und Ihr kluger Geist haben aus Ihnen einen „Mentschen“ gemacht, der zurecht in ganz besonderer Weise Achtung erfährt.

Möchte man Ihr Wirken an Gebäuden der Stadt ablesen, dann ist unser Museumsufer ein anschauliches Beispiel in zweierlei Hinsicht. Als Kämmerer haben Sie den Weg dafür geebnet und es damit überhaupt erst möglich gemacht. Sie selbst wissen am besten und behalten dies souverän für sich, wie groß Ihr Anteil am Gelingen vieler derartiger Beispiele ist.

Man muss nicht im Sonnenlicht stehen, wenn man selbst die Sonne ist.

Und ähnlich ist es mit Ihnen und Ihrem Wirken, ohne das unsere Stadt in vielerlei Hinsicht ärmer wäre, auch wenn dafür vielfach andere in eben jenem öffentlichen Lichte erscheinen durften. Auch dies macht Ihre Autorität bis heute mit aus.

Ihr wacher Geist und Ihre Neugier lassen Sie noch heute an allem teilhaben, was nennenswert von gesellschaftlicher und politischer Bedeutung ist, sei es über die Medien oder über Gespräche mit den Menschen.

Als Sie einst beim Jubiläum des „Arbeitskreises Großer Städte“ der Kommunalpolitischen Vereinigung von CDU und CSU (KPV) nach der Rede des Vorsitzenden zu den Gründungsjahren dieses Gremiums zum Schlussdank an das Mikrofon traten und nach einer freundlichen Begrüßung nicht minder freundlich mit den Worten begannen, nun zu erzählen, „wie damals wirklich alles begann“, da wehte für einen Moment ein Hauch der Geschichte durch den Saal und führte den Anwesenden vor Augen, wie reichhaltig und detailreich Almanach und Geschichtsbuch zugleich sich hinter Ihrer Stirn zu einem wirklichen Schatz verschmolzen haben.

Ich persönlich bin Ihnen, sehr geehrter Herr Dr. Gerhardt, sehr dankbar für alles, was ich von Ihnen lernen konnte. Und da wir beide verabredet haben, dass Sie nach jüdischer Tradition nicht nur auf 120 Jahre hoffen, sondern tatsächlich mindestens auch so alt werden, freue ich mich auf noch viele Begegnungen und Gespräche mit Ihnen und sende Ihnen zu diesem ganz besonderen Ehrentag, Ihrem 100. Geburtstag, neben Glück- und Segenswünschen eine große Portion an Dankbarkeit.

Herzlichen Glückwunsch zum 100. Geburtstag, mazel tov und bis 120!