„Es kommt auf die Balance von Hilfe und Repression an“

Veröffentlicht: Neuigkeiten Ort: Frankfurt

ffm. Wer mit Regina Ernst spricht, hört immer wieder vom pragmatischen Blick, der ihr wichtig ist. Mit diesem hat sie in über 30 Jahren die

ffm. Wer mit Regina Ernst spricht, hört immer wieder vom „pragmatischen Blick“, der ihr wichtig ist. Mit diesem hat sie in über 30 Jahren die Drogenpolitik der Stadt geprägt. Allerdings lässt sich im Gespräch auch erfahren, welche Ausdauer erforderlich gewesen sein muss, um zu Errungenschaften zu kommen, die heute niemand mehr in Frage stellt. Am Donnerstag, 23. Februar, wird sie als Leiterin des städtischen Drogenreferates verabschiedet. Seit Mitte vergangenen Jahres teilt sie sich diese Funktion mit ihrem Nachfolger Artur Schroers, um einen gleitenden Übergang zu gewährleisten.

Ernst kam 1992 als stellvertretende Leiterin des Drogenreferates zur Stadt. Die Soziologin hatte schon vorher in der Sucht- und Jugendberatung gearbeitet. 1996 übernahm sie die Leitung der dem Gesundheitsdezernat unterstellten Einrichtung. „Ich wollte an den Rahmenbedingungen für Hilfe mitarbeiten“, erinnert sie sich an ihre Motivation für ihre Bewerbung. Hierfür herrschte dringender Bedarf, denn die Stadt hatte 1992 die offene Drogenszene in der Taunusanlage mit täglich über 1000 Abhängigen aufgelöst. Zugleich musste den Menschen Aufenthaltsmöglichkeiten und Hilfen angeboten werden.

Neue Wege beschritten

„Es ging uns darum, Wege anzubieten, die die Betroffenen gehen können“, beschreibt Ernst die damalige Herausforderung. „Das Ziel der Abstinenz war für die meisten schlicht unerreichbar.“ Harm Reduction lautete die Antwort. Es brauchte niedrigschwellige Angebote, die die sozialen und gesundheitlichen Belastungen durch den Drogenkonsum reduzierten und Überlebenshilfe boten. Denn zugleich stieg die Zahl der Drogentoten aufgrund der miserablen Lebens- und Konsumbedingungen – und wegen Aids, das sich unter Drogenabhängigen rasant ausbreitete.

Der akzeptierende Ansatz, dass Menschen Drogen nehmen, sich das Drogenproblem niemals ganz lösen, aber deutlich lindern lässt, eröffnete die Chance für ganz neue Hilfeangebote. Und neue Möglichkeiten, Drogenabhängige zu erreichen und für Hilfen zu motivieren.

Drogenhilfe rückte den Gesundheitsschutz in den Fokus. Mit Safer Use-Angeboten wie Spritzentausch, Hygieneangeboten, später – lange und hart erkämpft – mit Drogenkonsumräumen, Substitutionsangeboten und als große Errungenschaft, die Heroinvergabe.

Dafür brauchte es einen langen Atem, sagt Ernst. Anfang der 90er Jahr gewann in der Fachöffentlichkeit die Position immer mehr an Gewicht, langjährigen Schwerstabhängigen könne mit der ärztlich kontrollierten Abgabe von Diamorphin – so der wissenschaftliche Name für Heroin – ein Weg in ein normales Leben ermöglicht werden. Die Voraussetzungen sind hoch. Die Betroffenen müssen mindesten fünf Jahre abhängig sein und andere Maßnahmen wie Suchttherapien einschließlich Methadonbehandlung erfolglos hinter sich gebracht haben.

Jahrelanger Kampf um Gesetzesänderungen

Die Stadt stellte 1993 einen Antrag beim damaligen Bundesgesundheitsamt, einen Modellversuch durchführen zu können. Doch die Vorbehalte waren groß und Pragmatismus hatte erst einmal keine Chance. Der Staat könne nicht Dealer sein, lautete eines der gängigen Vorurteile. Es folgten Ablehnung, Klage und schließlich doch der erfolgreiche Modellversuch. Nach verschiedenen Beratungen stimmte der Bundestag 2009 zu und seit 2010 bezahlen die Krankenkassen die heroingestützte Behandlung von Schwerstabhängigen. „17 Jahre hat es gedauert. Und funktioniert hat es nur, weil alle zusammengearbeitet haben“, sagt Ernst. Rund 110 Patienten versorgt die vom Bürgerhospital betriebene Heroinambulanz aktuell.

Pragmatischer Blick statt Ideologie

Es geht nur gemeinsam – für Ernst ein Kernsatz des Frankfurter Wegs. Alle Akteure müssen an einen Tisch und gemeinsam Lösungsansätze für die unterschiedlichen Herausforderungen entwickeln und dazu ihre jeweiligen Perspektiven und ihre Kompetenzen einbringen. Ein Gedanke, der Realität wurde. Mit „pragmatischem Blick statt Ideologien“ – ein weiterer zentraler Ansatz von Ernst – setzten sich die Beteiligten von Stadt, Polizei und Drogenhilfeeinrichtungen an einen Tisch, um sachlich – häufig auch konträr – sowie offen zu diskutieren. Nur so ließen sich Lösungen finden, sagt Ernst, auch wenn es angesichts der komplexen Problematik keine schnellen Rezepte gebe.

So kamen in dieser Runde auch Hilfe und Repression konstruktiv zusammen. Die Repression ist gleichfalls ein Baustein des Frankfurter Weges in der Drogenpolitik, sagt Ernst. Um die Belastungen für die Allgemeinheit zu minimieren, braucht es beide Seiten, sagt die Expertin und fügt hinzu: „Es kommt auf die Balance von Hilfe und Repression an.“

Der pragmatische Blick und die gemeinsame Weiterentwicklung von Angeboten des Frankfurter Weges ist auch in den Bereichen Prävention und Beratung sehr wichtig und eine Daueraufgabe. Die Bandbreite reicht von Informationsveranstaltungen, Kampagnen bis hin zu differenzierten Beratungsangeboten für junge und ältere Menschen.

Während Corona wurde rasch gehandelt

Ebenfalls gemeinsam und pragmatisch – aber jedoch deutlich schneller – musste es während der Corona-Pandemie gehen. Die Einrichtungen mussten zeitweise ihre Kapazitäten aufgrund der Schutzvorschriften reduzieren und konnten so weniger Menschen gleichzeitig betreuen. „Wir mussten die Leute von der Straße holen“, berichtet Ernst. Der Corona-Krisenstab der Stadt half, indem es Masken und Schutzausstattung für die Klientinnen und Klienten sowie für Mitarbeitende der Hilfseinrichtungen bereitstellte.

Wer auf eine Substitutionstherapie angewiesen war und über einen ungeklärten Versicherungsstatus verfügte, hatte keine Chance auf eine Behandlung. Das Drogenreferat erreichte, dass eine „humanitäre Substitution“ auch ohne Krankenschein möglich wurde und 30 Personen behandelt werden konnten. Dieses Angebot konnte verstetigt, einige der Betroffenen in die Krankenversicherung gebracht werden.

Wenig Zuwarten verlangten ebenfalls die damaligen Quarantänebestimmungen. „Möglichkeiten für Infizierte, sich zu isolieren, gab es in den Einrichtungen mit Schlafplätzen nicht“, erinnert sich Ernst. Im Schulterschluss mit dem Jugend- und Sozialamt und der Stabsstelle für Geflüchtete wurde über den Corona-Krisenstab ein Hotel gemietet. Weitere Angebote wie Ausbau der Notschlafbetten, Essensversorgung, verlängerte Öffnungszeiten des Nachtcafés und der Konsumräume sowie Impfaktionen für Drogenabhängige konnten in kurzer Zeit umgesetzt werden. „Sucht- und Drogenhilfe heißt, ständig auf neue Situationen und Erfordernisse reagieren zu müssen“, sagt Ernst.

Bald bleibt Zeit zum Innehalten

Für konkrete Pläne für den Ruhestand will sie sich Zeit lassen. „Es gibt viele Wünsche und Interessen“, sagt Ernst. Yoga, Kultur, Lesen, Reisen und vielleicht auch ein Studium an der Universität des dritten Lebensalters. Wichtig ist ihr dabei, dass es zu Diskussionen und argumentativem Austausch kommt. „Ich schätze es, mich mit anderen Menschen zu verständigen“, sagt sie.

Sicher ist ihr jedoch der Dank der Stadt. „Regina Ernst war die letzten 27 Jahre das Gesicht und die treibende Kraft des Frankfurter Weges in der Stadtverwaltung. Mit Mut und Beharrlichkeit hat sie für schwer Suchtkranke zahlreiche Hilfeangebote etabliert. Aber auch mit innovativen Präventions- und Beratungsprojekten konnten potentiell Suchtgefährdete angesprochen und über Risiken des Konsums aufgeklärt werden“, sagt Gesundheitsdezernent Stefan Majer und wünscht ihr alles Gute für den neuen Lebensabschnitt.

Foto Regina Ernst mit Readern des Drogenreferates zur Zweiten Frankfurter Cannabis-Fachtagung, Foto: Maik Reuß