Frankfurt zum Lesen - Bücherzettel Sommer 2021 / Teil 2

Veröffentlicht: Neuigkeiten Ort: Frankfurt

Frankfurts Polizei zwischen Mittäterschaft und Widerstand Seit einigen Monaten ist die Polizei besonders im Rhein-Main-Gebiet wiederholt ins Gerede

Frankfurts Polizei zwischen Mittäterschaft und Widerstand Seit einigen Monaten ist die Polizei besonders im Rhein-Main-Gebiet wiederholt ins Gerede gekommen, weil Beamte sich an rechtsextremen Internetgruppen beteiligt haben. Einen Beitrag zur historischen Aufarbeitung des Problemkreises „Polizei im Nationalsozialismus“ auf der einen Seite, aber auch zur Frage der Möglichkeiten und Pflicht zum Widerstand gegen die Verstrickung in staatlich betriebenes Unrecht will diese Darstellung leisten, mit der das Polizeipräsidium zwei Frankfurter Stadthistoriker beauftragt hat.

Diese stellen im ersten Teil des Buches dar, wie die deutsche und damit auch die Frankfurter Polizei sich ohne allzu großes Widerstreben von einer Institution zum Schutz der Bürger und des Rechts in ein Instrument zur Erniedrigung, Verfolgung, Vertreibung und schließlich Ermordung der eigentlich Schutzbefohlenen verwandelte. Im zweiten Teil werden drei Polizisten porträtiert, die auf ganz unterschiedliche Weise dem NS-Regime entgegentraten. Ein Leiter der Politischen Polizei, heute würde man „Staatsschutz“ sagen, der während der Weimarer Republik den Gewalttaten der NSDAP einen Riegel vorzuschieben versuchte und die Täter unnachsichtig verfolgte; er wurde nach der „Machtübernahme“ 1933 bald entlassen. Ein Hauptwachtmeister, der Meldekarteien fälschte, um jüdische Mitbürger vor der Deportation zu bewahren. Ein Kriminalbeamter, der eine Widerstandsgruppe im Umfeld des 20. Juli leitete, unentdeckt blieb und seine Aktivitäten auch nach dem gescheiterten Attentat fortsetzte. Alle riskierten ihre Leben, konnten aber nach dem Krieg ihre – noch beachtlichen – Karrieren im Polizeidienst weiterführen.

Das zwar wissenschaftlich belegte, aber dennoch gut, bisweilen spannend zu lesende Buch bietet ein Lehrstück darüber, wie verwundbar selbst eine demokratische und rechtsstaatlich verfasste Institution ohne Demokraten sein kann. Es bietet aber zugleich auch ermutigende Beispiele dafür, wie selbst scheinbar kleine, untergeordnete Beamte dem übermächtigen Unterdrückungsapparat Sand ins Getriebe streuen konnten.

Lutz Becht / Thomas Bauer: Die Frankfurter Polizei und drei aufrechte Beamte im Nationalsozialismus, Henrich 2021, 108 Seiten, 14,95 Euro

Die Not mit der Notdurft Kein Gesprächsthema in feiner Gesellschaft, aber auch die feinsten Leute wollen wissen, wo man kann, wenn man mal muss. Und das umso genauer, wenn die normalerweise dafür vorgesehenen Örtlichkeiten für Menschen unerreichbar sind, die statt auf zwei Beinen auf vier Rädern unterwegs sein müssen.

Zwar ist heute viel von Barrierefreiheit die Rede, es gibt sogar gesetzliche Vorschriften, aber nach wie vor sind viele Geschäftsräume, Restaurants und Wohngebäude, aber auch große Teile des öffentlichen Raums für Rollstuhlfahrer kaum zugänglich. Unüberwindbare Treppen, zu enge Türen und Durchgänge, unerreichbare Schalter und Armaturen und eben das Örtchen für das elementarste aller Bedürfnisse: ultimative Ausschlussgründe für einen Besuch, sei es zum Essen, bei Veranstaltungen oder bei einem Abend in der Privatwohnung von Freunden. Reisen und selbst kleinere Ausflüge erfordern generalstabsmäßige Erkundungen, um vor unliebsamen Überraschungen sicher zu sein.

Unterhaltsam und zugleich sachlich fundiert berichtet das Autorenpaar detailliert aus eigener Erfahrung von ganz konkreten Beispielen aus Frankfurt und Umgebung in Text, Bild und Grundrissen über bauliche Mängel, unüberlegte Raumplanung oder schlichte Gedankenlosigkeit beim Abstellen von Gegenständen, oft nur Kleinigkeiten, die sogar an sich barrierefreie Räumlichkeiten in eine No-Go-Area verwandeln können. Es bleibt indes nicht bei Negativbeispielen, es werden auch gelungene Einrichtungen vorgestellt. Für alle, die für die Planung öffentlich zugänglicher Bauwerke zuständig sind, aber auch für private Bauherren bietet das Buch wertvolle Hinweise, wie mit oft nur ganz geringen Modifikationen Barrierefreiheit geschaffen werden kann. Denn treffen kann es schließlich jeden jederzeit: Unfall, Krankheit oder Altersgebrechen können Junge und Gesunde unvermittelt auf längere Zeit oder dauerhaft in den „Rolli“ zwingen.

Claudia Hontschik, Bernd Hontschik: Kein Örtchen. Nirgends., Westend Verlag 2020, 112 Seiten, 16 Euro

Text: Thomas Scheben

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