Für Hass hatte sie kein Talent

Veröffentlicht: Neuigkeiten Ort: Frankfurt

ffm. Zeitzeugin, Mahnerin, Vorbild – vor einem Jahr, am 6. Januar 2022, verstarb Trude Simonsohn im Alter von 100 Jahren. Zu ihrem ersten Todestag

ffm. Zeitzeugin, Mahnerin, Vorbild – vor einem Jahr, am 6. Januar 2022, verstarb Trude Simonsohn im Alter von 100 Jahren. Zu ihrem ersten Todestag erinnert Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg an die Frankfurter Ehrenbürgerin.

„Trude Simonsohn fehlt“, stellt Eskandari-Grünberg fest. „Sie war eine Mutmacherin. Sie ermutigte uns, uns selbst zu hinterfragen. Ihr Leitsatz, ‚Zu jedem Unrecht sofort Nein sagen‘, nahm uns in die Pflicht. Gegenüber anderen, aber auch gegenüber uns selbst. Oder um mit Trude Simonsohn zu sprechen: ‚Man kann nur gegen Vorurteile kämpfen, wenn man sich eingesteht, dass man welche hat.‘ Dieser Satz gilt heute mehr denn je.“

Die eigene Unvoreingenommenheit zu hinterfragen, sei kein Zeichen von Schwäche, sagt die Bürgermeisterin: „Überzeugen kann nur, wer sich nicht über andere stellt. Auch das können wir von Trude Simonsohn lernen. Wenn sie eine Schulklasse besuchte, sprach sie nie von oben herab. Sie suchte den Dialog mit den Kindern, wollte wissen, was sie umtreibt. Diese Neugier, diese Offenheit – das war ihr ganz persönlicher Sieg über den Nazi-Terror, den sie, wie sie immer betonte, nur durch Glück überlebte.“

Trude Simonsohn kam am 25. März 1921 in Olmütz im heutigen Tschechien als Trude Gutmann zur Welt. Die behütete Kindheit im liberalen Elternhaus fand mit der nationalsozialistischen Besatzung ein jähes Ende. Ihr Vater wurde 1939 in das KZ Buchenwald deportiert und später im KZ Dachau ermordet. Trude Simonsohn kam 1942 nach mehreren Monaten Einzelhaft in das Ghetto Theresienstadt. Dort lernte sie ihren Mann Berthold kennen. Beide heirateten kurz vor ihrer Deportation nach Auschwitz – der Ort, an dem die Nationalsozialisten die Mutter von Trude Simonsohn ermorden.

„Sie nannte Auschwitz den Ort, an dem ihre Seele ohnmächtig wurde“, sagt Eskandari-Grünberg. „Diese Ohnmacht war ihr Schutzpanzer. Er verhinderte, dass sie am Leid zugrunde ging. Zeit ihres Lebens konnte sie sich kaum an Auschwitz erinnern. Doch sie sprach darüber – unseretwillen. Damit wir nicht vergessen, dass es diesen Ort gab. Diese menschengemachte Tötungsmaschine, eine Fabrik des Todes.“

Nach dem Krieg kamen die Simonsohns über Stationen in der Tschechoslowakei, der Schweiz und Hamburg nach Frankfurt. Der Weg in das Land der Täter sei ihr zuerst nicht leichtgefallen, sagt Eskandari-Grünberg. In Frankfurt habe sie jedoch zum ersten Mal seit Kriegsende wieder das Gefühl gehabt, zu Hause zu sein. Die Stadt mit ihrer Liberalität und Weltläufigkeit habe zu ihr und der Sozialisation in einem aufgeklärten jüdischen Elternhaus gepasst.

Seit Mitte der siebziger Jahre berichtete Trude Simonsohn regelmäßig als Zeitzeugin über ihr Schicksal während des Nazi-Terrors. Nach dem Tod ihres Mannes 1978 intensivierte sie dieses Engagement noch. 2016 wurde sie die erste Frankfurter Ehrenbürgerin – weil sie wie keine andere Persönlichkeit der Stadt für Humanität, Aufklärung und eine kämpferische demokratische Gesinnung stand. Bürgermeisterin Eskandari-Grünberg betont: „Trude Simonsohn sagte einmal über sich selbst, sie habe kein Talent zu hassen. Sie war streitbar im besten Sinne des Wortes. Hass beantwortete sie nicht mit Hass, sondern mit Widerspruch. Weil sie fest daran glaubte, dass wir es ernst meinen mit dem ‚Nie wieder‘.“

Nun gelte es, das Andenken an diese ganz besondere Frau für künftige Generationen zu bewahren. „In diesem Jahr feiern wir den 175. Jahrestag des Paulskirchen-Parlaments“, sagt Eskandari-Grünberg. „Trude Simonsohn steht wie keine zweite für die Werte dieses demokratischen Aufbruchs. Ihr Vermächtnis ist Mahnung und Hoffnung zugleich. Auch über den Tod hinaus ist sie uns ein leuchtendes Vorbild. Das wollen und werden wir im Stadtbild sichtbar machen – ganz im Sinne des Stadtverordnetenbeschlusses vom vergangenen November, wonach der Magistrat ein Konzept für einen öffentlichen Gedenkort für Trude Simonsohn konzipieren soll.“